M. Delgado u.a. (Hrsg.): Das Christentum in der Religionsgeschichte

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Titel
Das Christentum in der Religionsgeschichte. Perspektiven für das 21. Jahrhundert


Autor(en)
Delgado, Mariano; Gregor, Maria; Gregor Maria, Hoff; Günter, Riße
Reihe
Studien zur christlichen Religions- und Kulturgeschichte 16
Erschienen
Fribourg 2011: Academia Press
Anzahl Seiten
361 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Christoph Elsas

Glückwunsch zu dieser Festschrift! Sie ist sehr ansprechend mit ihren Texten und auch mit der Bibliographie von Hans Waldenfels ab 1996, dem Register der Stellen aus der Bibel und dem Koran, dem Personenregister und Verzeichnis der Autoren. Aber passt zum Titel «Das Christentum in der Religionsgeschichte » das Opferlamm als alleiniges Bildmotiv? habe ich mich gefragt. Leider werden mit mir viele zumindest auch an den Grossinquisitor denken. Mit diesem Vorbehalt habe ich mich an das erste Durchblättern des Buches gemacht. Besonders hilfreich für mich als Protestanten – mit einem Verwandten, den das Erzbistum Köln auf den Scheiterhaufen brachte, weil er den Abendmahlskelch für alle Christen wollte – war hier der Beitrag von Gregor Maria Hoff (Salzburg) «Eine Theologie des Vermissens. Skizze einer topologischen Erkenntnistheorie» (257–275). Dort heisst es: «Das Reich Gottes [...] wird greifbar [...] in Jesus Christus [...] und dann auch konsequent in der Kirche als Lebensraum des Heiligen Geistes, in der er uns begegnet. Dieses Begegnen bleibt an die Form des Vermissens gebunden. Und so ist die Kirche selbst – ganz im Sinne Foucaults – eine Heterotopie, der Gegenwartsraum von Reich- Gottes-Erfahrung, die sich im Vermissen einen Ausdruck verschafft» (269 im Anschluss an Michel Foucault, Von anderen Räumen).

Vom Gedanken der Kontextuellen Theologie verstehe ich, dass ich davon weniger in den Beiträgen aus den Kontexten des derzeitigen Vatikan und des Erzbistums Köln spüre. Doch wurden mir vom Kontext des Bandes her auch hier Aussagen wichtig. So bei Felix Körner SJ (Rom) «Zur Theologie des Gebets. Ein christlich-islamisches Gespräch» (93–119): «Die Kirche betet als der eine Leib Christi; sie betet aber Christus nicht als mit der Kirche identisch an; vielmehr heisst Leben in Christus gerade, dass der Mensch sich selbst verlässt (Römer 6,11).» (109). Auch bei Weihbischof Heiner Koch (Köln) «Die Wertefrage – Herausforderung für die Kirche in unserer Zeit um der Menschen und der Gesellschaft willen» (323–329): «Letztlich wird eine Persönlichkeit vor allem dann wertvoll ihr Leben entfalten können, wenn sie konkret erfährt, dass sie selber wertvoll ist», und die Kirche sich bemüht, «in der Kraft des Geistes Gottes [...] Kirche für die Menschen zu sein» (329). Dazu bei Markus Roentgen SJ (Köln) aus dem abschliessenden «Gebet an den Heiligen Geist» (331–333): «Du einzig gewaltloser, machtvoll als zärtlichste Liebesglut / ohnmächtig sanft-starke, wiederherstellende Gegengewalt! Du richtest, du richtest auf so, die niedergesunken.» (332)

Das zunächst nach dem Prinzip «Störungen haben Vorrang». Doch nun zum – trotz seiner Beschränkung auf römisch-katholische Autoren – vorzüglichen Band im Einzelnen. Im Vorwort (9–11) sprechen die drei Herausgeber aus, was ihn zusammenhält: die Nachgeschichte des II.Vatikanischen Konzils mit den Umsetzungen der Konzilsbeschlüsse. In drei darauf bezogenen Arbeitsbereichen loten die Beiträge der Festschrift den Werkstattraum des Jubilars aus: Sieben Beiträge konstituieren Teil I «Theologie der Religionen – Interreligiöser Dialog». Dass Hans Waldenfels SJ das Christentum als «eine Weltreligion in der Welt der Religionen» thematisierte, ist Ausgangspunkt für Mariano Delgado (Fribourg) «Das Christentum in der Religionsgeschichte. Unterwegs zu einem aufgeklärten Inklusivismus» (15–31). Mit der wenig später folgenden Bezugnahme auf dessen Aufsatz «Zur gebrochenen Identität des abendländischen Christentums» bewahrheiten gleich die ersten Seiten die Zusammengehörigkeit des o.g. Zugang zum Titelbild mit seinem Denken: «Das Christentum, das [...] mit einem ‹Märtyrer› begann, hat seine religionshistorische Unschuld längst verloren.» (18) Mich beeindruckt wie sich Delgado für diesen Zugang immer wieder auch auf Publikationen meiner evangelisch-theologischen kirchen- und religionsgeschichtlichen Lehrer Ernst Benz und Carsten Colpe bezieht und zugleich auf solche des heutigen Papstes aus der Zeit «des konziliaren Frühlings [...] mit nachdenklichen Betrachtungen [...] angesichts der Minderheitensituation der Christen in der Religionsgeschichte.» (21) Peter Antes (Hannover) hebt in seinem Beitrag «Der interreligiöse Dialog. Eine Herausforderung des Christentums durch Religion» (32–43) hervor, dass im Zuge der Besetzung der Bonner Professur für Fundamentaltheologie mit Hans Waldenfels «die Umwidmung im Aufgabenfeld von den ‹Grenzfragen zwischen Theologie und Naturwissenschaft› zur ‹Theologie der Religionen› [...] einen Paradigmenwechsel » darstellte (32). Entsprechend Waldenfels’ Grundprinzip vom «Hinhören auf die Anderen und deren Selbstaussagen ernst zu nehmen» (36) folgen die Beiträge von Hamid Reza Yousefi (Koblenz) «Religionswissenschaft – interkulturell als Beitrag zum interreligiösen Dialog» (44–56) und von Wolfgang Gantke (Frankfurt a. M.) «Die Bedeutung der Kontextuellen Fundamentaltheologie von Hans Waldenfels für eine problemorientierte Religionswissenschaft» (57–70). Gleichfalls vom Gespräch mit Hans Waldenfels geprägt sind die theologischen Überlegungen konkret zu Grundlagen für den christlich- jüdischen und den christlich-islamischen Dialog bei Paul Petzel (Andernach) «Der Talmud – locus theologicus oder: jenseits der Balken in Texten und Augen» (71–92), bei Felix Körner (s.o.) und bei Günter Riße (Vallendar) «Die Pforten des Paradieses durchschreiten. Islamische Paradiesvorstellungen als eine adventliche Gabe für die christlichislamische Begegnung» (120–129).

Ebenfalls sieben Beiträge konstituieren Teil II «Mission und Identität – Inkulturation – Kontextuelle Theologien». Hier ergänzen Michael Sievernich SJ (Mainz) mit «Interkulturelle Freundschaft im frühneuzeitlichen China. Das Beispiel von Matteo Ricci S.J. (1552–1610)» (133–151) und Francis X. D´Sa SJ (Pune) mit «Mission und Dialog. Polarisierung oder Polarität?» (152–164) die weiteren von Waldenfels so wichtig aufgenommenen kulturellen Kontexte Ostasien und Indien: Riccis Akkomodations-Leistung ist darin zu sehen, «dass er stoische und konfuzianische Tradition so miteinander verband, dass beide moralphilosophischen Traditionen kompatibel erscheinen und einen Weg zum Christentum eröffnen konnten.» (144) Und es wird an den «Bewegungen in der anthropischen Geschichtsperspektive des Christentums und in der karmischen Geschichtsperspektive der Hindu-Traditionen aufgezeigt [...]: Die ‹Aussich- heraus (zu-den-Anderen)› zentrifugale Bewegung der Mission und die ‹Für-die-Anderen- da-sein› zentripetale Bewegung des Dialogs ergänzen sich gegenseitig.» (153) Der Beitrag von Elmar Klinger (Würzburg) «Macht und Autorität. Die Unfehlbarkeit des Papstes – ein Sprachproblem» (165–178) kritisiert das Verständnis sowohl bei Traditionalisten als auch bei Hans Küng und hält mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil fest: «Wer auch immer Christus, dem vollkommenen Menschen, folgt, wird auch selbst mehr Mensch» (DH 4341) und folgert: «Die Menschensohnchristologie bildet das Fundament der Mission, verleiht ihr Autorität, kann Macht entfalten und fordert jede Macht heraus […] – eine unfehlbare Wahrheit.» (177f.) Claude Ozankom (Bonn) schliesst an mit «Toleranz und Identität. Christlicher Glaube in der Differenz religiöser Lebenswelten» (179–192): Wie das Römische Dokument «Dialog und Verkündigung» von 1990 betont, «handelt es sich sowohl innerhalb wie ausserhalb der Kirche um eine nur anfängliche Verwirklichung des Reiches, die erst in der zukünftigen Welt zu ihrer vollen Verwirklichung kommen wird», wobei «sich die gegenseitige, kritische Herausforderung zwischen Kirche und Religionen als eine Möglichkeit zur Reinigung und Vervollkommnung » erweist. Das ergibt sich für Christen daraus, weil Jesus Christus «sich gleichsam mit jedem Menschen verbunden hat» (181) und führt Ozankom zum Ansatz bei einer differenzkompetenten Religionstheologie, die sich an der Gastfreundschaft orientiert, René Buchholz (Bonn) führt mit «Offenbarung als Thora? Plädoyer für eine veränderte Versuchsanordnung » (193–206) die an das Dokument der Päpstlichen Bibelkommission «Das jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel» von 2001 anschliessende Anregung aus, die «Spitzenstellung der Tora» ernst zu nehmen (195): «Vor der Petrifizierung bewahrte den kanonischen Text schon in früheren Jahrhunderten seine Verflüssigung im Medium der Interpretation, die notwendig wird, wenn der historische Abstand zum Text wächst und sich die Lebensumstände der Menschen ändern […] Schon nach Dtn 4,12 vernahm Israel nur den ‹Donner der Worte› (kol debarim), und es war Moses, der nach Maimonides die Worte vermittelte, wie es auch seiner prophetischen Gabe zukam» (197). Dabei «liegt ein Gegenmodell zur Normalität vor, das auch von der christlichen Theologie zu entdecken ist: Inmitten der Geschichte artikuliert sich das Andere zur Geschichte und ihren vermeintlichen Gesetzen«, denn es «wird die Götterwelt der Sieger negiert und mit ihr später auch die geschichtliche Logik, welche stets neu Sieger und Besiegte produziert.» (201) Dann «hört die alttestamentliche Offenbarung auf, blosse Vorgeschichte Christi zu sein. In der thematischen Fülle des kanonischen Textes und seiner notwendigen Interpretation konkretisiert sich die unerschöpfliche Selbstoffenbarung Gottes. So erst entsteht die normative Basis für die beiden ‹Hauptströmungen› der Tora: Christentum und rabbinisches Judentum » (206). Der Beitrag von Vincenzo Di Pilato (Apulien) «Jesus Christus, die Offenbarung und die Religionen. Im Dialog mit der Theologie von Hans Waldenfels» (207–222) verdeutlicht die Nähe dieses Offenbarungsverständnisses zu dessen Kontextueller Fundamentaltheologie, die «wie zwei Brennpunkte einer Ellipse [...] Evangelium und menschliche Geschichte» in Beziehung setzt (210). Di Pilato verbindet das mit der tiefsinnigen Interpretation von «Maria aber bewahrte alle diese Worte, sie erwägend (sym bállousa) in ihrem Herzen» (Lk 2,19): Maria «bringt nicht durcheinander (dia-ballo), sondern setzt zusammen, ko-ordiniert die Worte, die Dinge in ihrem Herzen, spürt den Kontext der Liebe auf, in dem alle diese Worte und Vorgänge ihre Bedeutung erhalten, weil sie von Gott gewollt sind, der die Liebe ist.» (211) Entsprechend Waldenfels’ «Rückgang auf den Reichtum der Gestalt, in der die Herrlichkeit Gottes in Jesus Christus sich offenbart » (213), ist «die Vielfalt der Gottesbegegnungen auch ausserhalb der Kirche und des Christentums zu entdecken», und zwar «anhand eines sich mit dem II. Vatikanum veränderten Offenbarungs- und Erfahrungsbegriffes sowie mit einer Theologie, die das kenotische Element wahrnimmt» (222). Den Schluss des Teils zur Inkarnation formuliert Joachim Piepke SVD (Sankt Augustin) in «Die säkularisierte Apokalyptik. Die Welt des Harry Potter und die Ängste der Gegenwart » (223–254): «Der Tod ist allgegenwärtig und nicht aus der Welt zu schaffen; was zählt, ist die selbstlose Liebe, gegen die das Böse letztendlich keine Macht besitzt. Die mythologisch-religiöse Tradition der Apokalyptik ist in einen säkularen Kontext inkulturiert. » (254).
Zum Teil III «Löscht den Geist nicht aus: Kirche in den Zeichen der Zeit» gehört als erster der vier Artikel vor dem Gebet von Markus Roentgen (s.o.) der Beitrag von Gregor Maria Hoff (s.o.), der dazu anleitet, sogar die Heilige Schrift «selbst als den Ort eines medial bewahrten Gottvermissens» (260) und das Reich Gottes als «das heterotopische Moment der Geschichte in der Geschichte, schon da, aber noch nicht vollendet» (275) zu begreifen. Der Beitrag von Franz Gmeiner- Pranzl (Salzburg) «Intellectus liberationis. Eine kleine Typologie der Theologie der Befreiung » (276–297) versteht diese als «– wie alle anderen theologischen Ansätze auch – eine kontextuelle und kontingente Form christlicher Glaubensreflexion» (278) und zugleich in besonderer Weise als «eine qualifizierte Form von Universalität, in der niemand ausgegrenzt oder assimiliert wird.» (296) Vor dem abschliessenden Aufsatz von Weihbischof Heiner Koch (s.o.) mahnt noch der Beitrag von Gottfried Bitter CSSP (Bonn) «Katechese und Bildung, eine notwendige Einheit» (298–321) mit Waldenfels’ «Bald ist es zu spät» (298): «Selektive Engführung der gemeindekatechetischen Konzeption auf punktuelle Vorbereitung auf Sakramentenempfang persifliert die synodale Idee der kirchlichen Katechese» (301). Bitter verweist stattdessen auf praxiserprobte Alternativmodelle, die dessen Kontextueller Theologie entsprechen. Nicht alle Blüten des konziliaren Frühlings sind verfroren.

Zitierweise:
Christoph Elsas: Rezension zu: Mariano Delgado/Gregor Maria Hoff/ Günter Riße (Hg.), Das Christentum in der Religionsgeschichte. Perspektiven für das 21. Jahrhundert. Festschrift für Hans Waldenfels (Studien zur christlichen Religions- und Kulturgeschichte 16), Academic Press, Fribourg/ Kohlhammer, Stuttgart 2011. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 106, 2012, S. 752-755.

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